Freitag, 27. Mai 2016

Tag 20 - Begegnungen

Leider habe ich gestern keinen "last stamp"  mehr bekommen.  Daher beschloss ich heute noch einmal ans Kap Finistere zu pilgern.  Gegen Mittag ging es los.

Da das Wetter unerwartet schön war,  blieb ich eine ganze Weile dort und sinnierte in die unendliche Ferne,  bis ich ein "Hallo Tim"  vernahm. Plötzlich stand die Berlinerin Julia vor mir,  die ich in den Bergen aus den Augen verlor und schon längst in der Heimat wähnte,  so wie die meisten. Ich kann mich nur Wiederholen,  auf dem Camino ist man nie alleine.





Gegen Nachmittag bin ich dann an den Strand.  Ein Besuch in Spanien -  am Meer -  ohne Strand geht gar nicht. Leider war es doch recht kühl und windig,  wenn auch sonnig.  Wagemutig hab ich mich dann doch gesonnt und prompt eine Erkältung eingefangen.  Wie sich später herausstellte hatten wir gerade mal 14 Grad, die sich - wenn der Wind weg war - allerdings wie 20 anfühlten.



Während ich am Strand lag müsste ich an eine Frau denken,  welche ich unterwegs mehrfach traf.  Erstmalig in einem namenlosen Dorf Namens Gonzola, irgendwo im nirgendwo. Ich kann bis heute nicht sagen warum Sie mir unter all den vielen anderen Pilgern Anfangs auffiel,  aber sie tat es. Am nächsten Tag sah ich sie wieder auf der Strecke.  Unterwegs war Sie die ganze Zeit mit 2 Amerikanern.  Und Sie lief.  Wahnsinnig hohes Gangtempo,  dazwischen plötzlich gesprungen,  kurz gejoggt,  stehen geblieben,  wieder losgelegt,  die Schwingen ausgebreitet und fast abgehoben,  die Männer hinterher hechelnd - wie ein Schmetterling. Wie sich später herausstellte handelte es sich um eine stark verzerrte Momentaufnahme.
Allerdings zeigt dieser Moment was der Camino mit einem macht,  bewusst und unbewusst.  Diese Leichtigkeit, Losgelöstheit und Momente der totalen inneren Ausgeglichenheit,  wie in diesem Moment,  bei dieser Frau,  kommen tief aus dem inneren eines jeden einzelnen und zeigen das wahre reine selbst im Idealzustand. Ein Zustand den man im Alltag selten erreicht und der Camino bei jedem über kurz oder lang freilegt.

Entsprechend verwundert es nicht,  das Sie mir direkt auffiel,  wann immer ich sie sah.  In Herbergen,  in Kaffees oder auf der Straße.  Da Sie in guter Gesellschaft war und ich auch den Eindruck hatte,  das Sie an keiner Pilgerbekanntschaft interessiert ist,  kamen wir nie wirklich ins Gespräch.  Über ein "Hallo"  ginge nicht hinaus -  zuletzt in Santiago.

Eigentlich hatte ich Sie schon fast vergessen,  als ich Sie plötzlich in Finestere alleine sah und grüßend an mir vorbeiging. Wenn ich eines auf dem camino gelernt habe, dann das es Zufälle nicht gibt, auch wenn gerade dort vieles danach aussieht.

Eines Tages versuchte ich krampfhaft aus meinem Rucksack die Trinkflasche zu nehmen, ohne diesen auszuziehen. Eine hübsche Frau kam vorbei und ich bat Sie mir zu helfen. Sie lachte laut mit einem "I know excatly what you mean", gab Sie mir und verschwand. Nach rund 25km und 6 Ortschaften weiter machte ich Stop in einem Minikaff, mit 6 Herbergen. Meine Herberge hatte 40 Betten. In meinem Hochbett lag oben genau eben diese Finnin. Jetzt kann man sich ausrechnen wie wahrscheinlich sowas ist.

Am nächsten Tag, in der feuchtfröhlichen Runde mit Hans und Norbert, sah ich Sie plötzlich wieder vorbeigehen. Bereits jetzt etwas völlig ungewöhnliches,  da kaum einer mehr als einen Tag bleib.  Wie bei vielen anderen Situationen,  sah Sie völlig normal aus,  machte nichts besonders,  hatte aber trotz allem eine starke Ausstrahlung und Aura die Sie einhüllte - auch wenn Sie nicht mehr so unbeschwert aussah. Unweigerlich musste ich an Olga denken,  wenngleich es bei Ihr was völlig anderes war.  Es ist alles schwer in Worten zu greifen. An diesem Abend habe ich es bereut sie nicht doch noch mal angesprochen zu haben,  da ich mir sicher war,  das dies das letzte mal ist,  das ich Sie sehe.  3 Tage Finestere macht eigentlich keiner.

Als ich mit dem Plan noch schnell was zu essen und sehr früh zu Bett zu gehen in die Stadt ging, kam mir noch der idiotische Gedanke sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten das Sie mir noch mal über die Füsse läuft, wird Sie einfach mal gedrückt und gut ist.
Plötzlich saß Sie da.


Wie sich später herausstellte ist Sie Österreicherin, Kabarettistin und hat auch schon am Staatstheater in Darmstadt gespielt. http://www.thereseherberstein.com/ . Ihr Weg war offenkundig noch nicht zu Ende, auch wenn Sie am Ziel war. 
Der Abend dauerte lang und es war der schönste nur mögliche Abschluss dieser Reise.

Ich Frage mich, was der camino mir sagen will. In all den Reisen habe ich tolle und auch ganz besondere Menschen kennengelernt, wie 2014 Karl und die gelähmte Deborah. In Santiago hatte ich wohl zum ersten mal in meinem Leben so etwas wie ein Zwiegespräch mit Gott. Vielleicht auch  deswegen ist es auffällig, welche absolut außergewöhnlichen Menschen mir diesmal begegneten. Olga, Manolu, Resi...

Ich vermute das diese auch Zuhause um einen herum sind. Allerdings vernebelt der Alltag die Sinne und viele Menschen werden stumpf und blass.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen